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Kernkompetenz der Kirche AG: Wohlhabende

Im evangelischen Magazin Chrismon, das einigen bundesweiten Zeitungen* einmal im Monat beiliegt, erschien in diesem Monat ein Lehrstück darüber, wie durch konsequente Anwendung marktwirtschaftliches Denken ad absurdum geführt wird. Es würde auch als Satire durchgehen. Der ARD-"Börsenspezialist" Frank Lehmann rät der Kirche zu einem Kurswechsel (Artikel als PDF):

Nix Wischiwaschi, nix "allen wohl und niemand weh".
... den man einen Apell zur "selektive Nächstenliebe" nennen kann. Seine einzig halbwegs zutreffende Analyse:
Die Wirtschaft fordert vom Arbeitnehmer, flexibel ohne Ende zu sein. In dieser schnellebigen Welt sucht der Mensch aber auch Sicherheit und Geborgenheit. Die findet er in der heutigen Wirtschaft kaum noch. Halt, Sicherheit finden Menschen nur noch in der Familie und - jawoll- in der Kirche.
... führt er dadurch ad absurdum, dass er der Kirche durchweg rät, sich wie eine Aktiengesellschaft zu verhalten. Lehmann, der Mitglied der Stiftung der Evangelische Kirche Hessen-Nassau ist, fordert Marktforschung: "Um wen müssen wir uns wirklich kümmern?" Die bisherigen "Zielgruppen" Arme, Alte, Kranke scheinen nicht lukrativ ("Die Kirchensteuerzahler wollen mehr denn je wissen, was mit ihrem Geld geschieht.").

Einzig obiges Bild ist zu loben, da es den Glauben Lehmanns perfekt versinnbildlicht.

Lehmann analysiert alles aus ausschließlich wirtschaftlicher Perspektive:
Das Leben ist ein großes Fest, wenn man's nicht berechnen lässt, hat Goethe gesagt. Heute wird eben alles berechnet.
Alles wird mit wirtschaftlichem Vokabular angegangen: "Geschäftsplan", "Profil schärfen", "Angebot", "Konsolidierungskurs", "Kerngeschäft", "Fusion", "Marktforschung", "Benchmarks", "Kostenrechnung", "Pfarrer ist [...] Manager", "Facility Management", "gut aufgestellt". Die Interviewer Eduard Kopp und Ursula Ott stehen ihm kaum nach und sprechen u.a. von "Filialnetz" und "Kirchen abreißen".

Lehmann verheddert sich desöfteren in Widersprüchen. Einerseits ist ihm der "Geschäftsplan [...] nicht ganz klar", weshalb er von der Kirche erst Aktien kaufen wird, wenn diese "Erfolg" versprechen. Andererseits weiß er, was das Kerngeschäft ist: "Frohe Botschaft verkünden, Seelsorge, Bildung, den Menschen im weitesten Sinne dienen - also Diakonie und Gebet." Jugendarbeit gehört für ihn auch "noch" zum "Kerngeschäft" - im Gegensatz zu ökumenischer Arbeit ("Einführungskurse in indianische Rituale, Gebetshappenings mit Hindumönchen").

Lehmann argumentiert auch wider seine eigene Marktlogik: Er spricht sich für den Verkauf profitabler Bereiche (Winzerei) aus, um den einmaligen Erlös ins "Kerngeschäft" zu stecken. Welcher Konzern verkauft profitable Geschäftsbereiche?

Ansonsten die üblichen Rezepte, z.B. Outsourcen: Die Kirchengebäude sollen an "Facility-Management" übergeben werden. Oder verdeckter Verkauf: Immobilien sollen per PPP (public-private-partnership) bewirtschaftet werden. Dazu verbreitet er (wissentlich?) die Unwahrheit von einem erfolgreichen PPP in Offenbach: "Die Schüler gehen mit viel mehr Begeisterung in die Schule, weil alles immer auf dem neuesten Stand ist." In Wahrheit wurden durch den PPP-Trick immense Kosten verursacht und deren Zahlung in die Zukunft verlagert (siehe NachDenkSeiten, Gert Flegelskamp, FR, Uli Maaz, freitag; PPP-Überblick bei Wilhelm Rühl). Lehmann rät zu folgender Werbestrategie: "Werbung muss [...] nachhaltig sein. [...] Man muss heute bis an die Grenze provozieren, um aufzufallen".

Da wertet man einige Aussagen schon als Lichtblicke: Er spricht sich gegen die momentane Fusion der Kirche mit anderen Institutionen aus. Und er will Kirchen nicht abreißen lassen.

politischer! ist der Auffassung, dass es wichtig ist, dass die Kirche diskutiert, wie sie mit dem ihr zur Verfügung stehenden Geld wirtschaftet (Ausgabenseite) und schaut, wie die Zahl der Kirchenaustritte reduziert und die Zahl der Eintritte erhöht werden kann (Einnahmenseite). Deshalb ist es aber nicht notwendig, die Kirche auf Börsenfähigkeit zu trimmen und dabei das "Angebot" der letzten zwei Jahrtausende abzuschaffen.

Noch ein Auszug zum Schluss:
Lehmann: [...] demographische Entwicklung [...] Auch die Kirche muss sich voll auf die Alten einstellen.

Chrismon: Aber an Älteren ist nun wirklich kein Mangel in den Kirchen!

Lehmann: Stimmt, da ist die Kirche nicht schlecht aufgestellt.
Doch gerade die Alten, denen stark eingeschränkte Mobilität nachgesagt wird, irgoriert er wenn er sich für einen Rückzug aus der Fläche ausspricht:
Es muss nicht [...] an jeder Ecke eine Filiale sein. [...] das [wird] doch auch bei kirchlichen Veranstaltungen möglich sein.
So viel geschichtliche Einfalt und gesellschaftliche Ignoranz gepaart mit turbokapitalistischem Besserwissertum ist selten. Das wirft auch ein schlechtes Licht auf die chrismon-Redaktion.
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* Zeit, FR, Sächsische Zeitung, SZ, Tagesspiegel, Postdamer Neuste Nachrichten

Ein Gastbeitrag:

Anonym hat gesagt…

In dieser Logik: taz-Rubrik "Verboten" vom 27.1.2007